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  • 7. November 2015

Algorithmen sind die neuen Gatekeeper

Journalisten haben Angst davor, dass bald Roboter ihre Texte schreiben. Doch in Wirklichkeit werden sie bereits an anderer Stelle ersetzt. Wie können Medienunternehmen die Hoheit über ihre Inhalte zurückgewinnen?

Ein Roboter, der Nachrichten und Meldungen verfasst und Journalisten arbeitslos macht: Sieht so die Zukunft aus? Das Thema „Roboterjournalismus", oder besser ausgedrückt: Automatisierung im Journalismus, beschäftigt die Medienwelt. Erste Beispiele für die Textautomatisierung im Redaktionsalltag gibt es bereits: Algorithmen verfassen Spielberichte im Sport, Wirtschaftsnachrichten und Erdbebenwarnungen. Bei diesen Aufgaben sind Softwareprodukte schneller, präziser und günstiger als Journalisten.

Viele Journalisten plagen sich daher mit Existenzängsten. Doch die Angst vor textgenerierenden Algorithmen ist übertrieben. Es ist nicht abzusehen, dass eine künstliche Intelligenz jemals packende Reportagen schreiben und kritische Analysen verfassen wird. Während Journalisten sich Sorgen um die Zukunft der Textproduktion machen, werden sie jedoch bereits an einer sehr viel wichtigeren Stelle ersetzt: der Auswahl und Verbreitung von Nachrichten.

Medien haben zwar meist keinen großen Einfluss auf die Meinung des Publikums, aber einen erheblichen Einfluss darauf, womit es sich überhaupt beschäftigt (frei nach Bernhard C. Cohen). Die Verbreitung von Nachrichten findet jedoch längst nicht mehr auf den Plattformen der Verlage statt, sondern über Facebook, Twitter und Google.

Anfang des Jahres musste die TAZ eingestehen: „Wir haben immer weniger Einfluss darauf, welche unserer Artikel die Leser lesen." Denn wie viel Aufmerksamkeit ein Artikel bekommt, entscheidet jetzt Facebook. Und Facebook weiß, was seine Nutzer interessiert. Anhand der Interessen des Nutzers und der Interessen seines Netzwerks wird ein sorgfältig algorithmisch kuratierter Newsfeed erstellt. Dieser Algorithmus für den Newsfeed wird laufend optimiert, um die Nutzer noch länger auf der Webseite zu halten.

Für den Leser gibt es immer weniger Gründe eine Nachrichtenseite direkt aufzurufen. Die meisten Inhalte werden mittlerweile auch in den sozialen Netzwerken verlinkt. Soziale Netzwerke sind die neue Homepage, die Homepage ist tot. Im Kampf um mehr Reichweite und gegen schwindende Visits versuchen die Verleger immer mehr Menschen direkt zu erreichen und verlinken ihre Inhalte auf den sozialen Plattformen, mit immer buzzigeren Teasern.

Produkte wie Google AMP, Facebook Instant Articles oder das sehr erfolgreiche Medium verstärken diesen Trend zur Zweit- und Drittplattform. So wandern nicht nur die Teaser, sondern auch die Artikelinhalte zunehmend auf andere Plattform aus. Wie daraus ein nachhaltiges Geschäftsmodell für Medienhäuser, abseits von der Beteiligung an Werbeeinnahmen, entstehen soll, ist ein Rätsel.

Viele Redaktionen greifen mittlerweile virale Themen aus dem Netz auf („Is That Dress White and Gold or Blue and Black?") und berichten darüber. Das ist nur logisch, denn das Reichweitenpotential ist schon bewiesen. Die Hoffnung, dass der eigene Zusammenschrieb des Buzz-Themas wiederum viral wird, ist berechtigt. Doch durch diese Logik, machen sich die Redaktionen zu den Sklaven der Algorithmen. Nachrichten-Seiten wie Buzzfeed leben von den schnellen Klicks aus den sozialen Netzwerken.

Mittlerweile sind automatisierte Nachrichten-Feeds fest in unsere Smartphones integriert. Google Now auf Android-Geräten bietet dem Nutzer einen personalisierten Newsfeed mit Nachrichten aus verschiedenen Medien an. Für den eigenen Nachrichtenaggregator Apple News, hat Apple jüngst eine eigene Redaktion aufgebaut. Twitter stellt gerade für Moments eine Redaktion zusammen, um zukünftig besser über alle Arten von Ereignissen berichten zu können. Im Vordergrund dabei stehen Festivals, Sportveranstaltungen, aber auch Katastrophen wie Erdbeben oder Tsunamis.

Wie lange das Interesse der Tech-Konzerne an journalistischen Inhalten anhält, bleibt jedoch abzuwarten. Letztendlich entscheidend wird sein, ob die Unternehmen Geschäftsmodelle finden, welche durch das Anbieten von journalistischen Inhalten ermöglicht oder unterstützt werden.

Medienunternehmen können diese Entwicklung nicht aufhalten. Für Nutzer ist es deutlich bequemer, einen integrierten Nachrichten-Feed zu nutzen, statt sich jeden Tag auf unterschiedlichen Webseiten über das Weltgeschehen zu informieren. Trotzdem gibt es Lösungsansätze, welche Medienunternehmen dabei helfen können, auch in Zukunft relevant und profitabel zu sein. Hier ein paar Ideen:

  • Personalisierte News-Streams und Inhalte anbieten: Startseiten von Medienmarken sollten, zumindest teilweise, Inhalte anzeigen, die auf die jeweiligen Interessen (News, Sport, Wissenschaft, ...) der Nutzer zugeschnitten sind. Der nächste Schritt sind Artikel, die personalisiert werden können. Der einfachste Zugang wäre lokalisierte Textabschnitte entsprechend des Wohnorts oder Standorts eines Nutzers.

  • Newsletter-Angebote, die Übersicht schaffen: Viele Menschen sind von der schieren Zahl der Artikel überfordert, die jeden Tag veröffentlicht werden. (Personalisierte) Newsletter können hier Abhilfe schaffen. Ein Newsletter, der jeden Tag die zehn wichtigsten Themen vorstellt, wäre ein sinnvolles Angebot für jedes Medienunternehmen.

  • Eigene Plattformen attraktiver machen: Die Webseiten und Apps vieler Medienunternehmen sind nicht auf dem (technischen) Stand, den Nutzer von anderen Anbietern kennen. Dabei ist die eigene Plattform zentral für funktionierende Erlösmodelle und die langfristige Nutzerbindung. Push-Nachrichten, Newsletter und personalisierte Inhalte stellen sicher, dass die Nutzer immer wieder auf das Angebot zurückkehren.

  • Spartenprodukte und Diversifizierung: In manchen Bereichen, wie Nachrichten, ist kaum noch Wachstum möglich, daher könnte es lohnenswert sein, eine Nische zu besetzen. Für viele Youtuber und Blogger ist das schon lange ein Erfolgsrezept. Themen wie Gaming, Nachhaltigkeit oder DIY könnten Medien auch dabei helfen, jüngere Zielgruppen zu erreichen.

  • Digitale Abos ausbauen und attraktiver machen: Guter Journalismus kostet Geld und daher sollten exklusive Inhalte nicht verschenkt werden. Paywalls sind gut und notwendig. Digitale Abo-Modelle müssen verständlich und nutzerfreundlich gestaltet werden, um eine langfristige Nutzerbindung herzustellen. Der Preis eines digitalen Abos sollte sich eher an Netflix und Spotify orientieren als am Preis für ein klassisches Print-Abo.

  • Communities aufbauen, Partizipation ermöglichen: Nutzer und Abonnenten sollten nicht nur als Kunden betrachtet werden. Stattdessen sollte man den eigenen Nutzer ermöglichen, sich am Angebot zu beteiligen. Abstimmungen über Themen, Leser-Reporter, Workshops und Exklusivangebote können dabei helfen die Markenbindung zu stärken und aus Kunden echte Fans zu machen. Im besten Fall können starke Communities sogar dazu beitragen, den eigenen Journalismus besser zu machen.

Viele dieser Ideen erfordern keinen radikalen Wandel, sondern können Schritt für Schritt, unabhängig voneinander, umgesetzt werden. Medienunternehmen sollten alles daran setzen, um von den großen Tech-Konzernen unabhängig zu bleiben, auch wenn sie von der starken Sichtbarkeit journalistischer Inhalte in den sozialen Medien und Nachrichten-Aggregatoren profitieren.

Zudem sind Redaktionen in der einzigartigen Lage, kritisch über digitale Trends und den Einsatz von algorithmischen Empfehlung- und Entscheidungssystemen berichten zu können. Es bleibt zu hoffen, dass Redaktionen diese Themen in Zukunft verstärkt unter die Lupe nehmen oder mit Experten zusammenarbeiten, die diese Themen kritisch hinterfragen.

Doch auch die Nutzer sozialer Medien und News-Feeds sollten klare Forderungen an die Plattformbetreiber stellen: Algorithmen und Filter müssen transparent sein und der Nutzer sollte immer die Möglichkeit haben, die Empfehlungen nach seinen eigenen Bedürfnissen anzupassen.

Dieser Beitrag baut auf einem Vortrag auf, den ich vor wenigen Tagen beim Münchner Datenjournalisten-Stammtisch „DDJ Monaco" gehalten habe.